Abbild der Vergangenheit

Hier gibt es einen Einblick in eine Geschichte, die einen sehr langen Weg hinter sich hat! „Abbild der Vergangenheit“ ist eins meiner ältesten Projekte, entstanden ist es noch vor „Kamillensommer“. Besonders geeignet ist dieser Roman für Jugendliche und junge Erwachsene ab 12 Jahren.

Das wunderschöne Cover hat die unfassbar begabte Barbara Gerlach gezeichnet. Sie ist nicht nur eine klasse Slam Poetin und Meister-Kickerin, sie ist auch eine bemerkenswerte Illustratorin! Vielen Dank für dieses Kunstwerk und die tolle Zusammenarbeit!

Und jetzt wünsche ich Euch viel Spaß mit diesem Ausschnitt aus „Abbild der Vergangenheit“!


Kapitel 4: Ein altes Bild

Nach und nach trudelten unsere Mitschüler ein. Im Raum sorgten die hellen Deckenleuchten für unnatürliches Licht, weil die Sonne durch die schmalen Kellerfenster kaum hereinschien. Elisa und ich setzten uns wie immer zusammen in die dritte Reihe.

„Auf die Plätze, Herrschaften!“, rief unsere Kunstlehrerin mit ihrer schrecklich hohen Stimme. Sie klatschte in die Hände. „Und Ruhe.“

Elisa zog eine Grimasse. Sie mochte Frau Lites nicht, da sie immer an ihren Bildern herummeckerte. Ich kam zwar mit unserer Lehrerin klar, doch mir wäre es trotzdem lieber, wenn wir Herrn Zwick in Kunst bekommen hätten. Denn der Lehrer, der zugleich mein Clubleiter war, benahm sich nicht so überheblich.

„Nachdem wir uns in den letzten Wochen eingehend mit dem Porträt befasst und eins gezeichnet haben, bekommt ihr eure … Werke zurück“, kündigte Frau Lites an und machte sich ans Austeilen. „Doch damit endet dieses Thema noch nicht. Nun sprechen wir über das Porträt in der Fotografie.“

Unwillkürlich lächelte ich. Damit kannte ich mich gut aus. Und in Sachen Fotografie war ich viel besser als im Malen. Mein Porträt von Elisa glich ihr nämlich nicht allzu sehr, ebenso wenig wie man mich auf dem Bild meiner besten Freundin erkannte. Wir bekamen auch beide keine allzu guten Noten auf unsere Zeichnungen. Ich hatte eine Drei, sie eine Vier.

„Blöde Kuh“, zischte Elisa. „Die kann doch selbst nicht zeichnen.“

„Sag ihr das lieber nicht ins Gesicht“, kicherte ich.

Sie grinste. „Ich bin doch nicht lebensmüde.“

„Wie ihr wisst, arbeitet unsere Foto-AG derzeit an einer Ausstellung zum Thema Ärger und Freude“, erzählte Frau Lites. „Herr Zwick hat sehr schöne Beispielbilder dazu gefunden und mir einige zur Verfügung gestellt. Darunter finden sich tolle Porträts von einem Fotografenpaar.“ Sie schaltete den Beamer ein, um ein Bild an die Wand zu projizieren. „Und dieses Bild drückt Freude besser aus als 1000 Worte. Nur in einem Porträt die Gefühle zweier Personen einzufangen, das ist wahre Kunst.“

„So ein süßes Pärchen!“, staunte Elisa. „Die sind total verliebt, eindeutig! Die sehen so glücklich aus! Sogar der Hintergrund passt perfekt dazu, die sonnige Landschaft mit den Mohnfeldern ist traumhaft!“

Im Gegensatz zu ihr betrachtete ich das Foto nicht voller Begeisterung, sondern voller Fassungslosigkeit. Ich kannte diese Aufnahme. Ich kannte die beiden Erwachsenen darauf. Aber ich glaubte meinen Augen nicht.

„Auch wenn Elisa sich nicht gemeldet hat, was ich wirklich unhöflich finde, hat sie recht“, entgegnete die Kunstlehrerin und schenkte meiner Freundin einen vorwurfsvollen Blick. „Die Komposition ist einzigartig, das Bild spricht zum Betrachter. Was fällt euch noch auf?“

Was mir auffiel? Dass mich eine wunderschöne, dunkelhaarige Frau anlächelte, die mir wie ein Gespenst aus der Vergangenheit vorkam. Dass der Mann an ihrer Seite, den ich nur allzu gut kannte, sie anblickte, statt in die Kamera zu schauen. Dass ich ebendieses Bild in den Tiefen meines Kleiderschranks bei zahlreichen anderen Fotos vergraben hatte, weil es zu sehr schmerzte, die Aufnahmen zu betrachten. Mir fiel auf, dass es Leons verstorbene Eltern waren, die gerade an die Wand des Kunstsaals projiziert wurden. Und dass ich dieses Foto zusammen mit Leon geschossen hatte.

Aber wie zur Hölle kam es hierher? Außer Leon und mir dürfte es niemand besitzen! Wir hatten unsere Fotos nicht gemacht, um sie auszustellen, sondern nur für uns. Während ich immer die perfekte, natürliche Kulisse gesucht hatte, hatte er die Personen ausgewählt, woraus ein gemeinsames Bild entstanden war. Ein Bild, das nun Frau Lites besaß.

„Die Personen sind nicht im Zentrum des Bildes, ziehen aber die gesamte Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich“, äußerte sich Ronja.

„Sehr gut“, lobte Frau Lites sie. „Und wie wirkt der Hintergrund? Noah?“

„Idyllisch?“, riet mein bester Freund, der Kunst nicht ausstehen konnte.

„So könnte man es nennen“, stimmte die Lehrerin zu. „Stellt ihr euch denn keine Fragen, wenn ihr das Bild betrachtet? Wundert ihr euch nicht, warum die Personen so glücklich wirken? Welche Beziehung sie zum Fotografen haben müssen, um so natürlich zu lächeln? Meike, du siehst aus, als hättest du solche Fragen!“

Da konnte ich mich nicht mehr zusammenreißen. Ich hielt die Ungewissheit nicht aus. „Woher haben Sie dieses Bild?!“, rief ich.

„Von Herrn Zwick, wie bereits erwähnt“, antwortete Frau Lites überrascht und strich sich durchs kurze schwarze Haar. „Kennst du es etwa?“

„Ich … Ich kenne die Fotografen“, murmelte ich, wobei ich die fragenden Blicke einiger Mitschüler spürte.

Erstaunt sah sie mich an. „So was. Herr Zwick konnte mir nur ihre Initialen sagen. Wie heißen diese herausragenden Künstler denn?“

„Wie lauten die Initialen?“, fragte ich tonlos. „Nicht, dass … ich mich irre.“

Sie warf einen Blick in ihre Aufzeichnungen, die auf dem Pult lagen. „L. E. und M. P., steht hier.“ Da weiteten sich ihre Augen. „Moment, hast du etwas mit diesem Bild zu tun, Meike Parker?“

Meine Augen weiteten sich, mein Kinn klappte herunter. L. E. und M. P. Das konnte nur eins bedeuten. Leon Englert. Meike Parker. Also war es unser Foto, ich bildete es mir nicht nur ein. Und es gab nur eine Erklärung dafür: Leon hatte es aus der Hand gegeben, er hatte es jemandem zur Verfügung gestellt. Unter unseren Initialen.

„J-ja …“, stammelte ich, weil mir keine Ausrede einfiel. Ich verstand nicht, warum ich plötzlich mit diesem alten Foto konfrontiert war, und das auch noch in der Schule. „Ich habe es vor etwa fünf Jahren mit … einem Freund aufgenommen.“

Daraufhin ging ein Raunen durch die Schülerreihen, während mich Frau Lites begeistert ansah. „Dass du eine so begabte Fotografin bist, in deinem Alter! Möchtest du uns mehr zu dem Bild erzählen? Wer sind diese beiden? Etwa deine Eltern?“

„Diese beiden sind … tot“, flüsterte ich. „Ich will nicht darüber reden.“

Sofort kehrte Stille ein. „Oh …“, murmelte Frau Lites. „Bitte entschuldige, das wusste ich nicht. Wir werden ein anderes Porträt betrachten. Von einem anderen Künstler.“

„Danke.“ Meine Stimme hatte keinen Klang, vielleicht weil ich mich so fühlte, als könnte ich nicht mehr atmen. Mir wurde schlecht, weil mir Erinnerungen hochkamen. Erinnerungen an Sven und Emma Englert, die immer so lieb zu mir gewesen waren. An den Brand und ihren Tod. An Leon, der bittere Tränen um sie geweint hatte.

Ich hielt es keine Sekunde länger hier aus. „Dürfte ich bitte kurz nach draußen gehen?“, bat ich, als Frau Lites das Bild wechselte. „Mir ist übel.“

„Du bist auch ganz blass“, stellte sie besorgt fest. „Die frische Luft wird dir bestimmt guttun. Elisa, begleite sie bitte. Und wenn du etwas brauchst, Meike, dann melde dich.“

Ich nickte und von meinem Platz stand auf. „Vielen Dank.“

Auch meine beste Freundin erhob sich. „Komm“, flüsterte sie mir zu und schob mich vorsichtig zur Zimmertür. Automatisch lief ich neben ihr her, bis wir den Schulgarten erreichten.

Elisa setzte sich auf die Steinbank in dem prächtigen Garten. Sie deutete mir, mich zu ihr zu setzen, was ich geistesabwesend tat. „Was hast du denn, Meike?“ Ihre Stimme klang für mich wie ein weit entfernter Hall.

Langsam riss ich mich aus meinen Gedanken an Leon und seine Eltern los, nahm den schwachen Wind und die warmen Sonnenstrahlen wahr. „Das … Das waren … Das waren Leons Eltern“, antwortete ich betrübt.

Erschrocken sah sie mich an. „Die bei diesem Brand gestorben sind?“

Ich nickte zögerlich. „Ja. Und außer Leon und mir hat niemand dieses Foto. Er muss es weitergegeben haben.“

Ihre blauen Augen weiteten sich. „Irre! Dass es dann ausgerechnet hier gelandet ist! Heißt das nicht vielleicht, dass Leon in der Nähe sein könnte? Ist das nicht eigentlich etwas Gutes?“

„Ich weiß es nicht“, murmelte ich und raufte mir das offene Haar. „Ich weiß nicht, was ich davon halten soll.“


Wie es mit Meike, Leon, Elisa und Noah weitergeht, könnt ihr selbst lesen! Falls ihr das Buch kaufen wollt, könnt ihr das direkt bei mir tun. Auch in Buchhandlungen, bei Papierfresserchens MTM-Verlag oder Amazon ist der Roman erhältlich.

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